Einblick in die Welt des Glamours und des Grauens – Lijana Kaggwa, ehemalige GNTM-Teilnehmerin, zu Gast an der GAZ
Die Herzen so einiger Anwesenden (besonders die vieler Schülerinnen) schlugen höher, als es endlich so weit war und Lijana Kaggwa, die die meisten aus dem Fernsehen (‚Germany‘s Next Top Model‘ = GNTM) kennen, den Kulturversorgungsraum der Gesamtschule Gudensberg betrat.
Filmausschnitte aus ihrer Zeit bei GNTM, die schließlich auch ihren freiwilligen Ausstieg zeigen („Ab jetzt höre ich auf mein Herz und verzichte auf die Teilnahme am Finale.“) sowie Textstellen aus ihrem 2023 erschienenen Buch „Du verdienst den Tod“ lassen die eingeladenen Jugendlichen an dem teilhaben, was Lijana Kaggwa in den letzten fast vier Jahren erlebt hat.
In zwei Zeitblöcken waren ca. 270 Schülerinnen und Schüler anwesend, zunächst der gesamte Jahrgang 6 der GAZ, später die Klassen 9c und 9d der GAZ sowie zahlreiche Kinder einer Klasse 5 und des Jahrgangs 6 der Anne-Frank-Schule aus Fritzlar. Einige Schüler trugen an diesem 29. Februar pinkfarbene Oberteile, um ein Zeichen gegen Mobbing zu setzen, und um zu zeigen, dass sie offen sind für Vielfalt. Sascha Aschermann, Polizist und Geschäftsführer von ‚Netzwerk gegen Gewalt‘ in Nordhessen, trug ebenfalls einen pinkfarbenen Hoodie und erklärte den Schülerinnen und Schülern zum Auftakt den Grund dafür: 2007 gab es einen Vorfall, an dem in einem anderen Land ein Student gemobbt wurde, weil er ein pinkfarbenes Hemd trug – woraufhin Menschen, die ihn unterstützen wollten, ebenfalls pinkfarbene Kleidung anzogen; seitdem gibt es einen internationalen ‚Anti-Mobbing-Tag‘.
Über dieses Thema sprach Lijana Kaggwa, ehemalige GNTM-Teilnehmerin, die in der Endrunde überraschend auf eine weitere Teilnahme verzichtete, da sie enorm unter Cybermobbing gelitten und die Machenschaften innerhalb der verschiedenen Staffeln von GNTM nicht mehr ertragen hatte. Nach all den negativen und äußerst verletzenden Kommentaren fand sie beim Blick in den Spiegel „gar nichts mehr an mir gut und ich fühlte mich wertlos.“
Dabei war der Einstieg so vielversprechend – schon als Kind wollte Lijana Kaggwa gerne Model werden, 8 oder 9 Jahre alt war sie, als die erste Staffel von GNTM lief. Fast 15 Jahre vergingen bis zu ihrer eigenen Bewerbung dort, diese brachte sie ihrem Traum näher: „Plötzlich war ich mitten drin in der Glitzerwelt“, so Lijana, „als Teil einer lukrativen Traumwelt“. Filmausschnitte nehmen die Zuschauer mit und lassen sie teilhaben an der Arbeit vor der Kamera, an Lijanas Zusammenarbeit mit Heidi Klum, geben Einblick in einen grandiosen Start und Aufstieg, aber letztendlich auch in den tiefen Fall und ihre Erklärung, nicht am Finale teilzunehmen, sondern auszusteigen.
Sie bezieht schnell die Schüler mit ein, fragt, wer ein Handy besitze – alle Hände gehen nach oben, und auch, als sie fragt, wer denn schon einmal gesehen habe, dass jemand im Internet gehasst wird, sind alle Hände oben. Dass ihre Teilnahme an dem weltbekannten Modelwettbewerb einmal solch einen Hass gegen sie selbst auslösen würde, so dass sie sich bedroht, abgewertet und völlig verunsichert fühlte und auch Angst um ihre Familie und ihren Hund haben musste, hätte sie selbst nicht für möglich gehalten.
Wie konnte es so weit kommen? In erster Linie geht es bei GNTM, wie auch bei anderen ähnlichen Sendungen, um Geld, und zwar um wahnsinnig viel Geld – keine der Schülerinnen und keiner der Schüler kommt darauf, dass ProSieben mit einer Staffel von GNTM weit über 80 Millionen Euro verdient – ungläubiges Erstaunen zeichnet sich in ihren Gesichtern ab. Um die Zuschauer bei der Stange zu halten und dafür zu sorgen, dass sie nach den Werbeblöcken noch dabei sind, lassen sich die Macher solcher Sendungen etwas einfallen. Am interessantesten sind für die Zuschauenden stets Streitereien und ‚Zickenkriege‘ – und wenn es keine gibt, dann sorgt man dafür, dass sie ausbrechen oder dass es zumindest für den Zuschauer so aussieht. So berichtet Lijana, dass sie im Jahr 2020 schließlich selbst als ‚Zicke‘ dargestellt wurde, ohne ihr Wissen. Ihre Gesprächsbeiträge und Kommentare wurden, völlig aus dem Zusammenhang gerissen, veröffentlicht und ins Netz gestellt, was zu einer völlig veränderten Situation führte: War sie zuvor sehr beliebt und nett rübergekommen, reagierten nun viele Menschen auf die veränderte Darstellung ihrer Person blitzschnell mit „Häme und Hass“ (das Internet macht’s möglich) und „es brach ein gewaltiger Shitstorm von sich sicher fühlenden Hatern los“. Beschimpfungen, Androhungen von Vergewaltigung bis hin zu Morddrohungen waren an der Tagesordnung, es wurde ihr aufgelauert. Als Lijana den Satz „Der Hass stand vor meiner Tür“ äußert, steht vielen Schülerinnen und Schülern das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, diese Beschreibung sorgt für offene Münder. Lijana wurde zwischenzeitlich sogar unter Polizeischutz gestellt. Sie beschreibt, wie sie diese Entwicklung krank gemacht habe, sie sich zurückzog, unter Ängsten und Depressionen litt, niemandem mehr traute und nicht mehr mit ihrem Leben klarkam, sogar Selbstmordgedanken entwickelte. „Man denkt über sich selbst, man sei wertlos, man fängt an, das zu glauben, was andere äußern.“ Den entscheidenden Schritt zu einer Rückkehr in ein selbstbestimmtes und glücklicheres Leben machte sie selbst – und suchte sich professionelle Hilfe. Dadurch gewann sie an Stärke und möchte nun – auch durch ihr Auftreten an Schulen – jungen Menschen vermitteln, sich nicht kleinmachen zu lassen. Sehr eindrücklich beschreibt sie, dass man selbst keine Macht habe darüber, was andere über einen denken, aber man dürfe keinem die Macht geben, einem das Leben zu zerstören: „Hass kann nie gewinnen!“ lautet ihre Parole. Ihr Engagement im „Bündnis gegen Cybermobbing“ soll auch anderen Menschen helfen, ein inneres Schutzschild aufzubauen. Das Löschen des eigenen Social Media-Accounts sei keine Lösung – man solle sich nicht zurückziehen, „denn diese Medien sind ein Teil unseres heutigen Lebens, jedoch müssen Täter ausgeschlossen werden“.
Die Schülerinnen und Schüler durften anschließend ihre vielen Fragen loswerden, die Lijana Kaggwa verständnisvoll und geduldig beantwortete. Es zeigte sich, dass viele Jugendliche auch selbst bereits Erfahrungen mit (Cyber-) Mobbing gemacht haben oder jemanden kennen, dem dies passiert ist oder gerade passiert. Es ist nichts, was unausgesprochen bleiben sollte – und schon gar nichts, womit man alleine klarkommen muss. Lijanas konkrete Tipps: „Das müsst ihr nicht allein schaffen!“ und „Null Toleranz bei Mobbing, alle sollen sich wohlfühlen. Schmeiß die Leute raus, lösche Hate-Kommentare und fokussiere dich auf das Positive. Vor allem aber: Hol dir Hilfe!“
Um konkrete Angebote machen zu können, waren an diesem Morgen auch weitere Personen auf der Bühne, z. B. der Polizist Sascha Aschermann, der auch auf die rechtliche Seite und die Art des Umgangs mit (Cyber-) Mobbing von Seiten der Polizei einging („Nirgends im Gesetz steht: Mobbing ist strafbar. Aber die Polizei nimmt diese Probleme sehr ernst und bei bestimmten Androhungen erfolgen Anzeigen, auch für Menschen unter 14 Jahren – Maßnahmen folgen, auch wenn man nicht strafmündig ist.“
An der GAZ bietet MIT (Mobbing-Interventionsteam) Hilfe an, darüber klärt Martina Brunkow-Winterstein, die auch Schulmediatorin an der GAZ ist, auf. Nada Wegner, neu an der GAZ als Schulsozialarbeiterin eingestiegen, spricht die Schülerinnen und Schüler direkt an, sie mögen sich melden und mit ihr reden, ihre Anliegen finden bei ihr Gehör und gemeinsam wird nach Lösungen gesucht.
Lösungen hat auch Lijana Kaggwa gefunden, die gelernt hat, „sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist“. Mit ihrer Arbeit möchte sie ein Zeichen setzen gegen Cybermobbing und sie möchte Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass sie nicht hinnehmen sollen, wenn jemand sie in der beschriebenen Art und Weise angeht. „Es gibt keinen Ausknopf für Cybermobbing“, aber es gibt Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen, vor allem gibt es Möglichkeiten, aus dem „Teufelskreis des Sich-schlecht-und-wertlos-Fühlens“ herauszukommen und großes Selbstbewusstsein und innere Stärke zu erlangen. Eindringlich erinnert Lijana an ihre anfängliche Botschaft: „Hass kann nie gewinnen!“
Viel Zeit nahm sich Lijana Kaggwa anschließend noch für Autogramme und Fotos, hatte für jede Schülerin und jeden Schüler aufmunternde und aufbauende Worte. Es macht Hoffnung, zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich dafür einsetzen, dass Hater keine Chance haben, mit ihrem unglaublichen Verhalten andere in Opferrollen zu drängen – und dass es, u. a. an Schulen wie der GAZ, Mitstreiter gibt, die einem helfen und einen nicht alleine lassen mit solchen Problemen.
Seit 2001 ist die Gesamtschule Gudensberg GuD-Schule (GuD = Gewaltprävention und Demokratielernen) und macht zahlreiche Angebote, gegen Mobbing gibt es das o. g. MIT (= Mobbing-Interventionsteam).